JENSEITS DES STUDIOS: WAS ES NOCH ZU BEDENKEN GIBT
JENSEITS DES STUDIOS: WAS ES NOCH ZU BEDENKEN GIBT
Was geschieht, wenn Betrachter zum Teil des Kunstwerkes werden? Oder wenn ein Objekt unsere Wahrnehmung vom Raum verändert?
Architekt, Künstler, Autor und Visionär Frederick Kiesler konstatierte, dass Innenräume und Objekte nach Grundstrukturen des menschlichen Körpers und den Wirkweisen unseres Denkens gestaltet werden müssten und erhob sie so zu den Kernelementen einer interaktiven Generierung von Raum. Seine Arbeiten basierten auf dem Prinzip des Korrealismus, der Betrachtung von Dynamiken einer kontinuierlichen Interaktion zwischen Menschen, Dingen und dem Raum.
Das Werk des deutschen Künstlers Erik Andersen ist gleichfalls eine gründliche Untersuchung dieses Verhältnisses. Seine Arbeiten sind geprägt durch einen, oft verspielten, Prozess der Modifikation und einem Interesse an Oberflächen, die sich dem Raum anpassen und sich sogleich in Konfrontation mit der Umgebung begeben, letztlich aber leer bleiben. Seine skulpturalen Elemente und symbolischen Vergegenständlichungen verschmilzt er mit unserer Lebenswirklichkeit, was Betrachtende dazu verleitet, ihre eigene Wahrnehmung infrage zu stellen.
Die Anwesenheit der Abwesenheit
Das Interesse an leeren Oberflächen manifestiert sich in der Arbeit „Canvas 02“ (2011): Die Leinwand wurde mit mehreren Schichten schwarzen Lacks bestrichen und etwa einen halben Meter schwebend vor der Wand platziert, was den Zugang von beiden Seiten ermöglicht und Betrachter dazu ermutigt, sie vollständig zu umlaufen. Auf diese zeigt sich Betrachtenden nicht nur die immer wieder übermalte, tiefschwarze und glänzende Oberfläche der Frontseite, sondern auch eine gemalte Leinwandstruktur auf der Rückseite, die vergrößert wurde, wie bei einer gründlichen Untersuchung mit Lupe. Diese Zweiseitigkeit beleuchtet somit den Prozess der Entstehung des Werks und dessen Materialität näher und erhebt die Leinwand sowie die Geste des Bemalens selbst zum zentralen Motiv, wodurch das Kunstwerk sich selbst gewissermaßen auflöst.
Auch das Relief„Besser Vertical 01“ (2017) spielt mit diesem Gedanken des In-Sich-Steigens. Es wurde von mehreren gerollten, auf den Boden gefallenen Leinwänden inspiriert, die Andersen eines Tages zufällig in seinem Studio vorfand. Er begann in einer vorgestellten Begegnung mit dem Material diese Situation in Ton nachzubilden. Danach nahm er die Negativform und laminierte sie mit schwarzem Epoxidharz. „BesserVertical 01“ thematisiert so stellvertretend den Prozess der Entscheidungsfindung in Andersens Werk. Auf den Boden gestellt und in vertikalePosition gebracht, würde die Arbeit ihre, dem Titel entsprechende, Bedeutung entfalten und die Situation beschreiben, in der sie gefunden und zum Kunstwerk gemacht wurde. Dem Titel gedanklich Folge zu leisten, resultiert in derDekonstruktion der Arbeit.
Dieser Kontrast zwischen Leere und Vorhandensein ist essenziell für Andersens Praxis. Um die Dunkelheit zu begreifen, muss zunächst Licht ins Dunkle gebracht werden. Indem Andersen Oberflächen aufträgt oder wegnimmt, zeigt er die Veränderlichkeit der Strukturen eines Objektes: Dabei steht die Abwesenheit von Licht zunächst nur augenscheinlich für die Leere. Der schwarze Abgrund selbst erhält in Andersen Arbeit einen symbolischen Inhalt. Die Art von Ambiguität bestimmt Andersens Denken maßgeblich: Es geht nicht um das Offensichtliche, sondern das Durch-Schauen des Offensichtlichen. Die zugrundeliegende Mythologie in Andersens Werken ist Abwesenheit, nicht Überfluss. Er heißt Leere radikal willkommen und schält so die Hüllen vorgeschriebener Bedeutungen von seinen Kunstwerken. So verwandeln sich seine Objekte in Räume, in denen ganz andere Formen der Begegnung stattfinden können.
Auch das Video„8 Minuten“ (2010) ordnet sich in diesen Themenbereich ein: Es zeigt ein vergrößertes, hochkontrastiertes Schwarz-Weiß-Bild, in dem die einzige Bewegung von einer körperlosen Hand ausgeführt wird, die im vergeblichen Versuch begriffen ist, das Schloss einer Tür zu öffnen, die sich niemals öffnen wird. Das einträgliche Klacken des Schlüssels imSchloss mahlt in einem beständigen, wenn auch leicht unregelmäßigen Rhythmus dahin. Während dieses Geräusch an eine tickende Uhr erinnert, steht die menschliche Hand für die Uhrzeiger. In diesem Falle jedoch schreitet die Zeit nicht voran, stattdessen wiederholen sich die mechanischen Bewegungen vor und zurück ohne jeden Effekt. Paradoxerweise markieren Ton und Bewegung das Vergehen von Zeit, während sie einen Raum schaffen, der außerhalb von dieser existiert und in dem eine einfache Geste für immer zur Wiederholung verdammt bleibt. Der Titel des Videos indes, verankert die Handlung in einem greifbaren Zeitrahmen; wenn auch die Zahl Acht mit dem Thema der Unendlichkeit und Zirkularität spielt und weiterhin in der christlichen Numerologie spirituelle Wiedergeburt und Neubeginne symbolisiert.
Das Imaginäre
„Handschlag“(2010) schwebt vor den Betrachtenden im Raum, die Keramikplastik besteht aus zwei übergroßen Händen, die sich im Handschlag ergreifen. Die Handgelenke sind geöffnet, so dass Betrachtende dazu angeregt werden ihre Hand einzulegen: Wenn sie das allerdings tun, bemerken sie, dass der Zugang zur anderen Hand verschlossen bleibt, so als hätte man sich einen Handschuh übergestreift. DerZugriff ist nicht gestattet, der Handschlag bleibt also Simulation, wird zu einer ‚unechten‘ Begegnung.
„Untitled“(2018) ist eine skulpturale Installation, die aus einem hölzernen Rahmenunterbau und einer, im kantigen U-Profil geformten, schwarzen Harzplanke besteht, die im aufsteigenden Winkel in den Rahmen gehangen ist. Vorne, hinten und oben geöffnet gewinnt dieses Objekt die Anmutung einer Regenrinne, durch die Wasser nach unten laufen kann. Eine Serie von Fußabdrücken auf dem Boden der Planke suggeriert Betrachtenden jedoch, dass der Weg nach oben führt. Durch seine Positionierung im Raum, schwebend und über Kopf, entfaltet das Objekt eine unheimliche Wirkung. Indem es den Blick in eine Richtung zwingt, wird in der Betrachtung von unten aus dem Pfad der Fußspuren eine Art Leiter, die aus dem Raum führt. Das Ziel, wo oder was auch immer, bleibt unklar. Genau diesen Pfad verhüllt das Objekt aber von zwei Seiten und erlaubt es nur von einer Perspektive aus vollständig verstanden zu werden, wodurch es zu einem Mysterium wird, das gelüftet werden will. Betrachter sind gezwungen sich das Objekt räumlich zu erschließen. Doch selbst, wenn die ‚richtige‘ Perspektive endlich gefunden ist, bleibt das schwere, schwebende Objekt schwer greifbar über Kopf und fern des eigenen Zugriffs.
Überreste desKörpers
Andersen beschäftigt sich mit einzelnen Themen oft in ganz verschiedenen, teils konträren Weisen. Jede neue Version einer Arbeit bringt eine andere Perspektive während sie gleichzeitig mit den anderen Versionen verwoben bleibt. Das zeigt sich besonders in seiner fortlaufenden Serie „Füße/Feet“, die er 2016 begann und in der die abstrakte Form des Fußes als wiederkehrendes Motiv genutzt wird.
Als er begann sich mit dem Thema zu beschäftigen, betrachtete er die skulpturalen Eigenschaften von Füßen als etwas Undefiniertes. Durch Wiederholung allerdings fand er verschiedene Konzepte und Ausdrucksweisen, wodurch er neues Licht auf diese vertraute Form werfen konnte. Unser Fußabdruck hat einen Einfluss auf unsere Umwelt – ökologisch, ökonomisch oder spirituell. Außerdem geht mit Fußabdrücken die Idee der Spur einher: Etwas, das immer bleibt, wenn jemand fortgeht, etwas, das zurückgelassen wird und doch die Präsenz des Absenten vergegenwärtigt.
Eine Arbeit der„Füße“-Serie ist eine übergroße Skulptur, die als Bühne genutzt wird. Entscheidet sich jemand auf dieses Podest zu steigen, teilt er den Raum in Zuschauer und Darsteller, was eine Veränderung der Selbstwahrnehmung aller Betrachtenden, der Beziehung untereinander und des Raumes nach sich zieht. Auch hier ist es letztendlich gar nicht notwendig, dass die Bühne bestiegen wird,denn durch die pure Anwesenheit der Skulptur wird diese körperliche Geste des Besteigens bereits mental nachvollzogen und in der Vorstellung real. Betrachtende werden so (un)bewusst zum Teil einer dem Kunstwerk inhärenten und dynamischen Architektur.
Die Skulptur „Handlauf/Handrail“(2018) setzt sich aus einem langen Pfad von Fußabdrücken zusammen, die an der Wand und neben der Treppe entlang laufen oder als Einzelobjekte im Raum schweben. Jede Platzierung erfordert eine neue Interpretation der Skulptur, denn dort, wo Fußabdrücke an unerwarteter Stelle auftreten, beginnt es absurd zu werden. Die kognitive Dissonanz, die sich durch die Platzierung der Spuren außerhalb der üblichen Orte und Kontexte entsteht, kann nur über die Akzeptanz des Absurden aufgelöst werden und ist ein Beispiel für die humorvolle Dimension Andersens Schaffens.
Dauerndes Spiel mit Veränderung
Andersens Faszination für die Veränderung von Form und Struktur zieht sich durch sein gesamtes Schaffen. Seine Hauptmaterialien – Epoxidharz, Kalkstein und Pigment - erlauben es ihm zu spachteln und zu modellieren, Schichten hinzuzufügen oder abzutragen und das über verschiedene Phasen und Werkstufen einer Arbeit hinweg. In diesem Formungsprozess verändern sich seine Objekte, wandeln den Aggregatzustand von flüssig zu fest und verlangen von ihm so eine stets andere Auseinandersetzung mit dem Material.
Andersens Arbeiten versetzen die Betrachtenden in dieLage den Ausstellungsraum nicht nur vom Sichtbaren her zu begreifen, sondern als Raum der Begegnung und Erfahrbarmachung. Seine Werke sind eine andauernde Reflektion darüber, welche physische und imaginative Wirkung ein Objekt entfalten kann, welche Spuren von Körpern zurückgelassen werden und wie Menschen mit ihren Umgebungen interagieren. Mit dem menschlichen Körper als Ausgangspunkt erschafft Anderse nintime Orte, die dennoch offen und veränderlich bleiben und unmögliche, nichtexistente Räume in der Vorstellung der Betrachtenden.
BEYOND THE STUDIO: A FEW THOUGHTS REMAIN
What happens when the spectator becomes part of a work of art? Or when the object changes our perception of space?
As architect, artist, writer and visionary Frederick Kiesler emphasized, interiors and objects should be designed with the essential structures of the human body and the workings of the mind as core elements in an interactive generation of space. His works were based on the principle of correalism – the dynamics of continual interaction between humans, objects and space.
The work of German artist Erik Andersen is likewise a thorough investigation of the relationship between these elements. The works engage in a playful process of modification and underlie Andersen’s interest in empty surfaces that adapt to the spaces they inhabit, while simultaneously entering into confrontation with the surroundings. In this way,his sculptural elements and symbolic objectification become fused with reality– prompting the viewer to question their perception of space.
The resemblance of the absence
Manifesting this interest in the empty surface, “Canvas 02” (2011) is painted with several coats of black lacquer and suspended half a meter from the wall – permitting access to both sides and encouraging viewers to maneuver around it. In experiencing the work from both sides, viewers encounter not just the layered, heavily darkened and lustrous surface of the canvas’s front, but also a painted simulation of the material structure of bare canvas on its reverse – enlarged as though viewed at maximal zoom. This parallel view elucidates the process of the work’s development and its material basis – taking the canvas itself, and the gesture of filling it, as its central motif.
The work “Besser Vertical 01” (Better Vertical 01), 2017, plays with the theme of interiority. The work is drawn from various rolled canvases that had fallen to the ground, which Andersen found in his studio. Andersen first created a clay mold of these canvases – made only from sight, as an imagined physical encounter – then took the negative form and laminated it with black epoxy resin. “Besser Vertical 01” stands in for the process of decision-making in Andersen’s work. Placed on the ground,turned vertically, the work literally unfolds the way in which it was found and materialized as an artwork. Taking the title as an instruction initiates the artwork’s deconstruction.
The contrast between emptiness and fullness is essential to Andersen’s practice. It is often said that you must bring light into the dark in order to see the darkness: by applying or removing a surface, the artist enacts structural transformations and thus reflects on the absence of light as a symbol for emptiness. This darkened void itself appears in a symbolic manner: it is not only facing the obvious,but also looking behind it, that is crucial in understanding Andersen’sway of thinking. Ultimately, however, it is up to the viewer to decide whether to look beyond the surface.
The prevailing mythology surrounding Andersen’s work is one of absence rather than abundance. This radical embrace of emptiness, in effect, divests his artworks of prescribed semantics and turns his objects into spaces where different forms of encounter may occur.
Along a similar line, Andersen’s video work, “8 Minutes”, 2010, presents a zoomed-in, high-contrast black-and-white image in which the only motion is distilled to a disembodied hand engaged in a seemingly futile undertaking: repeatedly attempting to unlock a door that never opens. The incessant click of the key in the lock is grating in its steady, though slightly irregular rhythm, while reminiscent of the ticking of a clock – a human hand standing in for the turning of the clock’s hand. In this case, however, the turns do not progress;instead, mechanical movements are repeated back and forth without advancing.Paradoxically, the sound and the action both mark the passing of time, while generating a space that exists outside of it – in which this simple gesture remains suspended in perpetuity. The video’s title, meanwhile, anchors the action to a conceivable time frame, even as the figure eight plays on the symbolic notion of infinity and cyclicality, making further reference to Christian numerology – wherein the number eight represents spiritual rebirth and new beginnings.
The imaginary
"Handschlag" (Handshake), 2010 is suspended from the ceiling, the ceramic object comprises two enlarged hands that are engaged in a handshake.Openings at the wrists are left exposed, daring viewers to participate; but if theyplace their hands in the opening of the object – as though a glove – they find the inside is, in fact, closed off. Access to the other’s hand is not permitted.The handshake therefore remains only a simulation – a ‘false’ encounter.
“Untitled”, 2018, is a sculptural installation comprising a floor-based wooden frame and a semi-enclosed rectangular beam, made of black epoxy resin, which sits atop, balanced at an angle. Left open at its top and two ends, the resin structure evokes a gutter: a descending passageway that carries water. A series of footprints engraved inside on the object’s base suggest, however, that the path instead leads upward. The element’s elevated and angled placement, meanwhile, materialize an uncanny presence, permitting only a one-way view along the given path. Situated in this way, the footprints come to resemble a ladder—indicating a way out of the space. However, the destination—where,or what, this ladder might lead to—remains uncertain. The work therefore retains an element of mystery, while obstructing its own visibility, as it can only be seen in totality from one vantage point. The viewer is stimulated to move through the space, to experience this large-scale structure that appears at once heavy and floating; yet it remains elusive, just out of reach.
Remnants of the body
“Handlauf" (Handrail), 2018, also plays with the imaginary. The sculpture comprises a long trail of footprints, which the artist either places against a wall, next to a staircase, or floating as a single object within a room. Each placement requires a different way of understanding the sculpture,while also portraying something absurd – as the object always appears in unconventional locations. The cognitive dissonance that arises from seeing these footprints in unusual contexts and locations, as well as the eventual release from its hold – triggered through acknowledgment of the situation’s absurdity –is an example of the intended humorous dimension of Andersen’s work.
Andersen addresses a single subject in varied, often conflicting, terms. Each version brings a different perspective, though many versions also intertwine. Creating multiple variations of works with the same subject in this way allows him to find different forms of expression. This process becomes visible in his ongoing series “Füße” (Feet) – started in 2016 – in which the abstracted form of a foot is taken as a recurring motif.
Once he started working with the subject, Andersen looked at the sculptural possibilities of feet as something undefined. Repetition allowed him to find different forms and concepts that shed new light on this familiar image. Our footprint has an impact on our environment – whether ecological, economical, or even spiritual. Then, there is the idea of traces: something that remains when someone walks away; something that is left behind yet materializes a former presence. One work from Andersen’s feet series is a large-scale sculpture that can be used as a stage. The person who chooses to stand on the pedestal immediately divides the room into spectators and performers, altering the viewers’ perceptions of themselves, each other and the surrounding space. Ultimately, it is not required that someone step onto the stage, as the work itself enacts a spatial experience that simultaneously generates bodily action while liberating the imagination – incorporating the viewer, (un)consciously, into the dynamic environment of its (interior) architecture.
A constant play of transformation
Andersen’s fascination with structural changes is an ongoing presence inhis work. His primary materials – epoxy resin, chalkstone flour and blackpigment – allow him to spatulate and modulate, adding and removing layers acrossdifferent phases and physical states of a work. During this process, hisobjects transform from liquid to solid – in parallel, prompting changing modesof interaction. Andersen’s work invites the viewer to consider the exhibitionspace not just in terms of what is displayed, but also as a place of encounterand experience. In this way, his work becomes an ongoing reflection on thephysical and imaginative impact an object can inflict, the traces left behindby the body, and the relationship between the human being and their surroundings.Taking the body as a point of departure, Andersen creates intimate spaces thatnonetheless remain open and transmutable – invoking impossible and nonexistentspaces in the viewer’s imagination.